100 Sekunden Fußball-Wahnsinn

08. April 2024

Beitrag in der FAZ

Statt maximaler Depression nun grenzenlose Zuversicht: Tigges und Waldschmidt machen aus dem 0:1 noch ein 2:1 und schüren im gerne optimistischen Rheinland die Hoffnung auf den Klassenverbleib.

Die dürren Worte, mit denen Christian Keller versuchte, das „Wunder“ zu fassen, wirkten geradezu hilflos angesichts der Macht des Momentes, den der 1. FC Köln am Samstagnachmittag um 17:18 Uhr erlebt hatte. Aber wahrscheinlich war es klug, auf Pathos und jede Art der Ausschweifung zu verzichten. Zu groß war die Wucht der Emotionen, als die Rheinländer ihre Ausgangslage für den restlichen Saisonverlauf – ja sogar für die mittelfristige Zukunft – innerhalb von 100 Sekunden von „fast weg“ zu „voll in der Verlosung“ verwandelt hatten, wie der Sport-Geschäftsführer sagte. Die Menschen brüllten, weinten und wussten gar nicht wohin mit ihren Emotionen, nachdem Steffen Tigges (90.+1) und Luca Waldschmidt (90.+2) in der Nachspielzeit ein 0:1 in einen 2:1-Sieg verwandelt hatten.

Der Stadionsprecher empfahl zur Beruhigung „einen tiefen Griff in die Tablettenschatulle“, es war zuckersüßes Fußballglück, das die Anhänger in diesen Sekunden erleben durften. Tigges sprach von einer „Gefühlsexplosion“, und das Onlineportal „Geissblog“ berichtete später von „einem der wohl mächtigsten Urschreie in der Geschichte Müngersdorfs“. Von den vier Punkten Rückstand gegenüber Mainz aus der Blitztabelle vom Beginn der Nachspielzeit war nur noch einer übrig. Und selbst die Bochumer vom 15. Tabellenplatz sind wieder einholbar, statt den Abstand gegenüber Köln mit dem fast schon vollendeten Sieg auf zehn Punkte auszubauen. Den VfL ließ das fassungslos in sich zusammensinken. Das Team sei „in eine Spirale“ hineingeraten, sagte Sportgeschäftsführer Patrick Fabian über die psychisch schwer angeschlagene Mannschaft. In Köln hingegen werden die Glückshormone noch einige Tage strömen, und so mancher dürfte im Überschwang denken: Warum nicht auch in München gewinnen?