Kommentar | Der 1. FC Köln wird zum Opfer der Überheblichkeit seiner Bosse

23. Dezember 2023

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Kult-Trainer Steffen Baumgart weg, wirtschaftlich nahezu handlungsunfähig: Der einst ruhmreiche 1. FC Köln steht vor dem Trümmerfeld der Vereinspolitik der letzten Jahre. Ursache für den kölschen Super-GAU ist schleichendes Management-Versagen. Ein Kommentar.

Steffen Baumgart hatte es schon im Sommer geahnt. Beim Interview-Termin am Geißbockheim vor dem Start der neuen Bundesliga-Saison gab sich der Trainer des 1. FC Köln zwar offiziell optimistisch, was die Stärke seines Kaders anging. Doch als die Aufnahmegeräte aus waren, ließ Baumgart deutliche Zweifel durchblicken.

Im zweiten Jahr in Folge hatten die Köln-Bosse mit ihrem strikten und uninspirierten Sparkurs dafür gesorgt, dass sich die Qualität der Mannschaft rapide verschlechterte. Zunächst waren es die Schlüsselspieler Anthony Modeste und Salih Özcan (wechselten zu Borussia Dortmund), die nach dem umjubelten Erreichen der Conference League im ersten Jahr mit Baumgart nicht annähernd ersetzt wurden.

Mit Trainer Baumgart verliert der „Effzeh“ seine größte Identifikationsfigur

Nach der zweiten Spielzeit des Kult-Trainers, die nach Höhen und Tiefen auf Platz elf endete, rissen dann das Karriereende von FC-Führungsspieler Jonas Hector und der Abgang von Ellyes Skhiri (zu Eintracht Frankfurt) zwei weitere riesige Löcher in den Kader, die Sport-Geschäftsführer Christian Keller nicht stopfen konnte. Oder aufgrund des Sparkurses nicht stopfen wollte.

Seit dem 21. Dezember, einem der schwärzesten Tage der Geschichte des einst so ruhmreichen 1. FC Köln, steht der Verein vor den Trümmern der Wirtschafts- und Kaderpolitik seiner Führung. Baumgart, vor wenigen Wochen noch gefeierter Liebling der Fans und anerkannter Erfolgstrainer, sah am Ende völlig gefrustet keine andere Möglichkeit mehr, als hinzuschmeißen. Mit Baumgart verliert der FC seine größte Identifikationsfigur der vergangenen Jahre. Er wurde bejubelt im Rosenmontagszug, seine Schiebermütze war bestverkaufter Karnevalsartikel im Shop des 1. FC Köln – aus und vorbei.

Hammer-Urteil reißt Köln den Boden unter den Füßen weg

Sorgte das Baumgart-Aus schon für Schockstarre rund um die Domtürme, zog kurz darauf das Urteil des internationalen Sportgerichtshofes CAS dem dreimaligen Deutschen Meister endgültig den Boden unter den Füßen weg: Der CAS bestätigte eine Sperre von zwei Transferperioden gegen den „Effzeh“. Neben der Profimannschaft dürfen auch die Nachwuchsteams von der U21 bis zu U17 ein Jahr lang keine Spieler verpflichten.

Ein Hammer-Urteil. Hintergrund ist die Verpflichtung des Jugendspielers Jaka Cuber Potocnik im Januar 2022. Dessen Ex-Club Olimpija Ljubljana wirft dem FC vor, den damals 16-Jährigen unrechtmäßig zum Wechsel angestiftet zu haben. Neben der Transfersperre muss der FC zusätzlich 60.000 Euro Strafe an den slowenischen Verein zahlen.

Und es kommt noch dicker: Nach dem Urteilsspruch wurden sogar Bestechungsvorwürfe gegen den FC laut: Angeblich soll Köln zwei Wochen vor der CAS-Anhörung Ljubljana 750.000 Euro geboten haben, damit die Slowenen ihre Aussage ändern. Was der 1. FC Köln jedoch massiv bestreitet.

Köln braucht dringend neue Spieler - darf sich aber nicht verstärken

Unbestrittener Fakt ist: Köln steht jetzt nicht nur ohne Cheftrainer da, sondern kann sich auch im Abstiegskampf nicht mehr verstärken. Dabei fehlen bundesligataugliche Spieler in allen Mannschaftsteilen, vor allem im Sturm: Zehn mickrige Punkte hat der Verein nach 16 Spielen auf dem Konto, nur zehn Tore hat er geschossen. Eine indiskutable Bilanz vor allem des Sturm-Duos Davie Selke und Steffen Tigges.

Letzten Endes hat Steffen Baumgart die persönliche Konsequenz daraus gezogen, dass der Kader des 1. FC Köln ganz offensichtlich nicht konkurrenzfähig ist. Die Geißböcke stehen zu Recht auf Platz 17, auf Augenhöhe mit dem schwachen Aufsteiger Darmstadt.

Wie konnte es zu diesem brutalen Absturz, zu einer der schlimmsten Krisen in der Klub-Geschichte kommen?

CAS-Urteil ist Ausdruck von Überheblichkeit und Unwissenheit der Bosse

Der 1. FC Köln wurde Opfer von massiven Fehleinschätzungen in der Vereinsspitze. Das CAS-Urteil ist auch Ausdruck von Überheblichkeit und Unwissenheit, mit der Vorstand und Geschäftsführung agierten. Diese Krise geht ganz klar auf die Kappe der aktuellen Vereinsführung, die es sich ansonsten gerne leicht macht und mit dem Finger auf ihre Vorgänger zeigt, wenn es um Fehler und wirtschaftliche Schieflage geht.

Vor vier Jahren war der Vorstand um Werner Wolf angetreten, den Klub zu sanieren und die Fehler der Vergangenheit mit zum Teil aberwitzigen Transfer-Pannen nicht zu wiederholen. Vor gut anderthalb Jahren kam der neue Sport-Geschäftsführer Christian Keller dazu, dessen Mantra seitdem ist: niedrige und nachvollziehbare Kostenstruktur des Kaders, datenbasiertes Scouting, Konzepte ohne Abhängigkeit von Personen.

Das klingt sehr vernünftig, gerade angesichts der mehr als 50 Millionen Euro Schulden, die der Verein in den vergangenen Jahren, massiv verschärft durch die Corona-Krise, angehäuft hat. Allerdings lässt sich ein Profifußballklub nicht nur mit bis zur Überheblichkeit zur Schau gestellter Controller-Logik und  dem Ansatz „Sparen, bis der Arzt kommt“ führen.

Keller ist krachend an der Wirklichkeit gescheitert

Christian Kellers Reißbrett-Ansatz für den Verein kann man sehr mutig nennen. Oder größenwahnsinnig, quasi gegen jegliche Gepflogenheiten des Fußball-Geschäfts. Zum jetzigen Zeitpunkt muss man jedenfalls sagen: Der Ex-Regensburger ist krachend an der Wirklichkeit gescheitert.

Durch das CAS-Urteil ist der Verein so gut wie handlungsunfähig. Nicht auszudenken, was ein siebter Abstieg im Sommer bedeuten würde: Die bundesligatauglichen Spieler würden den Verein verlassen, der FC kann sich aufgrund der Sperre aber nicht verstärken. Ein schneller Wiederaufstieg wäre komplett unrealistisch. Eher ginge es dann darum, mit Nachwuchsspielern einen weiteren Absturz zu vermeiden.

Der „Kölsche Super-GAU“ („Express“) nach schleichendem Management-Versagen muss Konsequenzen haben. Vorstand und Geschäftsführung haben dem 1. FC Köln mit einer Reihe von gravierenden Fehlentscheidungen großen Schaden zugefügt. Der Club steht blamiert und nahezu bankrott da.

Die Verantwortlichen sollten über Weihnachten in sich gehen

Es wäre gut, wenn alle Verantwortlichen in der Weihnachtspause in sich gehen, die eigene Rolle reflektieren und Rechenschaft ablegen würden. Ob sie zum Neubeginn unter schwierigsten Voraussetzungen noch etwas beitragen können, ist angesichts des großen Vertrauensverlustes fraglich.

Ob der FC noch eine Chance hat, sich trotz widrigster Umstände zu retten, wird stark von der Personalie des neuen Trainers abhängen. So mancher im Umfeld des FC spekuliert schon über Friedhelm Funkel als erneuten Feuerwehrmann. Der heute 70-Jährige hatte den FC 2021 in der Relegation gegen Holstein Kiel im letzten Moment vor dem Abstieg gerettet. 

Der Auftritt von Vorstand und Geschäftsführung bei einer Krisen-Pressekonferenz am Freitag in Köln ließ viele Beobachter jedoch ratlos zurück. Keine Selbstkritik, keine Übernahme von Verantwortung. Stattdessen beschwor Sport-Chef Keller eine „Wagenburg-Mentalität“, mit der das Ende der Saison vielleicht noch erfolgreich gestaltet werden könne. Und Präsident Wolf zitierte Paragraph eins des Kölschen Grundgesetzes: „Es ist, wie es ist“.

Er hätte auch Paragraph vier nennen können: „Wat fott es, es fott.“ Was weg ist, ist weg.