Kopf aus, draufhalten!

05. Februar 2024

Beitrag in der FAZ von Thomas Klemm

Der Kölner Publikumsliebling trifft gegen Frankfurt – und gerät dabei schon fast ins Poldihafte.

Als Jan Thielmann am späten Samstagabend übers Toreschießen sprach, fühlte man sich gut und gerne an bessere Zeiten beim 1. FC Köln erinnert. An eine Zeit in den Nullerjahren, als die Abschlussschwäche des rheinischen Bundesligaklubs nicht so eklatant war wie in dieser Saison, und zwar auch deshalb, weil damals ein anderer, weitaus bekannterer Jungprofi regelmäßig Glanzlichter setzte. Die Rede ist von Lukas Podolski, der einst für seinen Effzeh viele Abschlussarbeiten unbekümmert und mit links erledigte. Nun, nach dem erst dritten Kölner Sieg der laufenden Saison, geriet der 21 Jahre alte Thielmann schon fast ins Poldihafte, als er seinen Treffer zum 2:0- Endstand gegen Eintracht Frankfurt beschrieb: „In der achtzigsten Minute ist der Kopf ausgegangen. Ich habe einfach gedacht: Halte ich mal drauf, mehr als danebengehen kann er nicht.“

Danebengegangen ist in Köln das meiste in den vergangenen Monaten. Von der verhaltenen und letztlich verfehlten Einkaufspolitik, in deren Folge der FC-Kader schwächer besetzt ist als in den Vorjahren, über die Transfersperre der FIFA für zwei Perioden, die Trennung von Trainer Steffen Baumgart bis hin zur Offensivschwäche, die sich jüngst auch noch dadurch verschlimmert hat, dass in Davie Selke, Luca Waldschmidt und Mark Uth gestandene Kräfte im Abstiegskampf bis auf Weiteres verletzt fehlen. Um sich in diesem „perfekten Sturm“ zu behaupten und den Untergang zu vermeiden, sind vielseitige Kräfte gefragt. Notgedrungen muss Thielmann nun in der Spitze aushelfen, obwohl er jahrelang den rechten Kölner Flügel beackerte: oft im Mittelfeld, gelegentlich in der Viererkette. „Ich fremdele nicht, vorne macht es genauso viel Spaß“, behauptete der deutsche U-21-Nationalspieler nach seinem mal wieder mitreißenden Auftritt gegen ideenlose Frankfurter.

Zwar verfügt Thielmann nicht über die Fertigkeiten, die den ewigen kölschen Liebling Podolski einst auszeichneten. Aber wie kaum ein Zweiter ist der Profi das Gesicht des aktuellen FC. Er ist jung, trägt mit Stolz den Geißbock auf der Brust, hat den Anspruch, stets mit unbändiger Leidenschaft voranzugehen, und überspielt kleinere taktische und spielerische Mängel mit großem Eifer. Dass er zudem recht variabel einsetzbar ist, macht ihn für das Team sowie Timo Schultz, der als FC-Trainer seinen ersten Erstligasieg bejubeln durfte, so wertvoll. Als Publikumsliebling wird Jan Thielmann schon seit seinen Teenagerjahren gefeiert, obwohl seine mit Verve vorgetragenen Ansätze in den Kölner Nachwuchsmannschaften sowie bei den Profis oft mehr versprachen, als er letztlich auf dem Platz halten konnte.

Auch in dieser Saison kam der Youngster erst spät in die Gänge. Wieder einmal stoppte ihn eine Verletzung, diesmal am Knie, sodass er erst am zehnten Spieltag einsteigen konnte, als der FC erst mickrige drei Punkte auf dem Konto hatte. Wie unlängst beim 0:4 gegen Dortmund schien Thielmann zunächst auch gegen Frankfurt die kölsche Sturmmalaise  fortzusetzen: Aus kurzer Entfernung scheiterte er frei stehend an Nationaltorhüter Kevin Trapp (14. Minute). Es war wieder so ein Moment, in dem der frei aufs Tor zulaufende Thielmann Sekunden zum Nachdenken hatte und im Nachhinein haderte: „Vielleicht hätte ich den Ball hoch schießen müssen.“ Am Ende war’s herzlich egal. Zum einen, weil die Frankfurter sich selbst schwächten und Niels Nkounkou (66.) und Tuta (83.) nach ungestümen Aktionen mit Gelb-Rot vom Platz mussten und Hrvoje Smolcic sich vor dem 2:0 einen kapitalen Fehlpass leistete. Zum anderen, weil die Kölner unermüdlich auf die Tube drückten, bis das Lied vom Trömmelche nach den Treffern von Faride Alidou (68.) sowie Thielmanns erstem Saisontor erklang.

Wie FC-Gewächs Thielmann, so gehört auch der von der Eintracht ausgeliehene Alidou zur jungen Garde, auf der in Köln die Hoffnungen auf den Klassenverbleib ruhen. Gegen Frankfurt standen fünf Spieler in der Startelf, die 22 Jahre alt waren oder sogar jünger: Links in der Viererkette zeigt der 19- jährige, vor Wochen ins kalte Wasser geworfene Max Finkgräfe, dass die Lücke nach Jonas Hectors Karriereende vielleicht doch nicht ganz so riesig ist wie befürchtet. Auf der Doppelsechs mühen sich Eric Martel (21) und Denis Huseinbasic (22) redlich um Raumverengung und Spielkontrolle, und vorne zeigen Thielmann und Alidou, dass sie so manchen Gegenspieler wirbelnd in Verlegenheit bringen können. Wer im und um den Geißbockklub zum Märchenhaften neigt, könnte die Startelf auch frei nach den Gebrüdern Grimm benennen: Herr Schultz und die fünf Geißlein. Der Trainer wurde jedenfalls am Wochenende nicht müde, die „hervorragende Nachwuchsarbeit“ des 1. FC Köln zu loben. Er habe „Lust, mit den Jungs zu arbeiten“, sagte Schultz, der vom FC vor fünf Wochen als sogenannter Entwicklungstrainer verpflichtet wurde. Auch Kapitän Florian Kainz, mit 31 Jahren der Oldie im Team, lobt die „jungen, hungrigen Spieler“: „Das tut uns gut, das ist der Weg, den der FC gehen muss.“

Dass allerdings Jugend und Tugend in der Not nicht reichen, dessen ist man sich beim Tabellensechzehnten bewusst. Mit dem Elan geht schließlich auch eine gewisse Unbedarftheit einher, sodass es in der Defensive mitunter brenzlig wird. „Man braucht ein Zusammenspiel zwischen erfahrenen, älteren Spielern und ein paar frischen, unbekümmerten Spielern“, gestand auch Thielmann zu: „Ob ein 30-Jähriger Vollgas gibt oder ein 21-Jähriger – er kann sich gut in unserem Team sehen lassen.“

Bei aller „super Teamchemie“, die der Angreifer ausmacht: Die Frage ist, ob der 1. FC Köln seinen Geißlein eine erstklassige Perspektive bieten kann. Kürzlich hat sich sogar Jan Thielmann, der 2017 von Eintracht Trier zur Kölner U 17 gestoßen ist und 2019 sein erstes von 99 Bundesligaspielen (elf Tore) für den FC gemacht hat, ein klares Bekenntnis zum Klub verkniffen. Erst mal wolle sich die Mannschaft darauf konzentrieren, den Klassenverbleib zu schaffen: „Alles andere müssen wir dann schauen.“ Er jedenfalls gehe von einem guten Ende aus. Nach dem Sieg über Frankfurt legte Thielmann an Zuversicht nach: „Wir müssen versuchen, auf der kleinen Welle, die wir angefangen haben, weiter zu surfen.“ Das Meer der Gefühle wird den 1. FC Köln so oder so über die nächsten Tage tragen: Erst kommt Karneval, dann geht’s zur TSG Hoffenheim.