Steffen Baumgart hatte recht

05. Februar 2024

Beitrag auf sueddeutsche.de von Philipp Selldorf

Viele Spieler des 1. FC Köln brauchten einen anderen Trainer, um in veränderten Rollen neu aufzublühen. So besteht beim FC plötzlich wieder etwas Anlass zur Hoffnung.

Es gibt zwei Glaubenssätze, die das besondere Verhältnis des 1. FC Köln zum Karneval lehrreich veranschaulichen. Der eine besagt, dass dem Klub in der Karnevalszeit kein Sieg gelingen kann. Der andere verspricht, dass der FC in der Karnevalszeit selbst dann jedes Spiel gewinnt, wenn er vorher noch gar keins gewonnen hatte. Beide Theoreme kommen den Bedürfnissen der Profis entgegen: Wenn man sowieso nicht gewinnen respektive nicht verlieren kann, dann kann man auch verkleidet in die Kneipe gehen.

Unvergessen, wie sich einst Matthias Scherz diese Weisheit zunutze machte: Trotz eines tags zuvor erlittenen, schändlichen 0:5 bei Rot-Weiss Essen in der zweiten Liga und einer von Trainer Christoph Daum verhängten Ausgangssperre wurde Scherz beim Rosenmontagszug erwischt - er trug ein Scheich-Kostüm und Sonnenbrille, doch sein markantes Profil verriet ihn in flagranti.

Diesmal scheint dem 1. FC Köln aber wieder der Geist des Dreigestirns zur Seite zu stehen: Durch den 2:0-Sieg gegen Eintracht Frankfurt gelang der Mannschaft die Wiederbelebung im Abstiegskampf und der erste sogenannte Dreier seit einem mühsamen 1:0 in Darmstadt irgendwann im Herbst, an das sich nur noch Vorväter und Vormütter erinnern.

Damals regelte noch Steffen Baumgart den Betrieb, der mit dem Karneval zuletzt ebenfalls spezielle Erfahrungen gemacht hatte. Baumgart hatte seinen Spielern alle Feierlichkeiten genehmigt - prompt kam der Einbruch: In vier Spielen vor und nach dem Fest gab es bloß ein einziges Unentschieden. Was Baumgart damals für die nächste Session gelobte, Enthaltsamkeit und Homeoffice, das vollendet nun sein Nachfolger am Geißbockheim. "An Karneval ist die Bremse angesagt", gab Kapitän Florian Kainz eine Anweisung von Trainer Timo Schultz wieder.

"Ich bin nicht hier, um Karneval zu feiern", sagt Trainer Timo Schultz

Schultz, wie Baumgart von der Küste stammend, braucht nicht zu befürchten, sich wegen seiner Spaßbremsenparole in der Stadt und in der Kabine unbeliebt zu machen. Feiern könne man auch noch im Mai, "Karneval hin, Karneval her", sagte der Kölner Vorkämpfer und Schütze des 2:0, Jan Thielmann, auf das Saisonziel Klassenverbleib anspielend. Ganz wohl war Chefcoach Schultz dennoch nicht, als er seine strenge Haltung öffentlich erläuterte. Er wisse, dass er sich mit seiner Aussage "nicht viele Freunde mache - aber ich bin nicht hier, um Karneval zu feiern".

Für zusätzliche Motivation, zugunsten der Professionalität Verzicht zu leisten, sorgten am Samstagabend die Besucher aus Frankfurt. Zweimal leistete die Eintracht den eifrigen, aber weitgehend harmlosen Kölnern tätige Hilfe zur Selbsthilfe, indem sie sich zunächst in Gestalt von Niels Nkounkou durch einen Platzverweis selbst dezimierte und später auch noch die Vorlage zu Thielmanns Entscheidungsschuss lieferte - Verteidiger Hrjove Smolcic leitete den Konter mit einem Präzisionspass ein, als ob er sich einen Scorerpunkt verdienen wollte. Kurz vor Schluss ließ sich auch noch Frankfurts Brasilianer Tuta vom Feld stellen, aber da war die Sache ohnehin gelaufen. Die Diva vom Main lud die Diva vom Rhein solidarisch zu drei Punkten ein.

"Eine gelb-rote Karte tut immer gut", bemerkte dankbar FC-Profi Thielmann. Bis zu Nkounkous Hinausstellung stand das 0:0 auf stabilem Fundament, keine der beiden Parteien stellte Überlegenheit her. Weshalb außer Schultz auch Sportchef Christian Keller eine Trendwendenansage für übereilt hielt: Man habe außer drei Punkten "nichts gewonnen", sagte Keller. Es war ja nicht zu übersehen, dass der Gegner maßgeblich zum Sieg beigetragen hatte. "Aus diesem Grund sind wir noch keine Spitzenmannschaft", klagte Eintracht-Coach Dino Toppmöller und wusste eine Mängelliste aufzuzählen, die von "fußballerisch sehr, sehr dünn" bis zu "katastrophal" und "leider dämlich" reichte. Letzteres war an Nkounkous Adresse gerichtet.

Ironische Note: Der Mann, der die Gäste zu Verlierern machte, ist ein Eintracht-Spieler. Kölns Frankfurter Leihgabe Faride Alidou sorgte mit feurigem Einsatz nicht nur für den Platzverweis, sondern schoss kaum eine Minute später auch das 1:0 (67. Minute). Den Jubel verweigerte er pietätvoll, aber das nutzte seinem Arbeitgeber wenig.

Wenn Baumgart Alidou einwechselte, musste er es meistens bereuen - das ist nun anders

An der jüngsten Entwicklung des schnellen Angreifers aus Wilhelmsburg bei Hamburg zeigt sich aber auch, dass der FC seit Steffen Baumgarts Rückzug und der Übernahme durch Timo Schultz Fortschritte gemacht hat. Wenn Baumgart Alidou einwechselte, musste er es meistens bereuen. Unsinnige Übersteiger, furchterregendes Defensivverhalten und andere Kapriolen des Rechtsaußen bescherten ihm Wutanfälle, für die jeder Zuschauer Verständnis hatte.

Schultz hat Alidou nun nicht alle Flausen austreiben können, aber er hat es vorläufig geschafft, ihn produktiv in die improvisierte Offensive einzureihen. Zwei Treffer in zwei Spielen, das macht ihn bereits zu einem Anwärter auf die Kölner Torjägerkanone. Der gelernte Mittelstürmer Steffen Tigges hingegen, zuletzt notorisch torlos und dennoch von Baumgart regelmäßig als Systemspieler verwendet, hat seinen Platz im Spieltagskader vorerst verloren. Schultz hat das zuvor auf Flanken getrimmte Angriffsschema modifiziert.

Nicht nur an diesen Punkten bestätigt sich, was Baumgart bei seinem vereinsintern provozierten, aber dennoch selbst gewählten Abschied gesagt hat: dass vielleicht einige Spieler einen anderen Trainer bräuchten. Mit Denis Huseinbasic, 22, hatte auch Baumgart gern zusammengearbeitet. Doch erst Schultz machte ihn neben Eric Martel zur festen Größe im defensiven Mittelfeld. Seitdem steht die Kölner Deckung wieder stabil, und seitdem, so viel Trend ist erlaubt, hat der 1. FC Köln wieder Grund zur Hoffnung.