Tradition schießt keine Tore

22. April 2024

Beitrag in der FAZ von Daniel Theweleit

Die Angst vor einer düsteren Zweitligazukunft frisst beim 1. FC Köln die letzte Zuversicht auf.

Zweifellos treibt das Schreckensbild von einer düsteren Zweitligazukunft schon länger sein Unwesen in den Hinterköpfen vieler Fans des 1. FC Köln, aber bis Samstag war es erstaunlich gut gelungen, diese Gedanken zu verdrängen. Aktivisten aus der Fanszene hatten engagiert für Zusammenhalt und Zuversicht geworben, mit Plakaten, mit Parolen und viel wohlmeinendem Support. Nach dem 0:2 gegen Darmstadt 98 halfen keine guten Vorsätze mehr, der Frust brach heraus. „Wir haben die Schnauze voll“, tönte es aus der Südkurve, und als die Spieler am Zaun auftauchten, blickten sie in wutverzerrte Gesichter. „Es ist klar, dass die Fans sauer sind und ihren Zorn rauslassen”, sagte Kapitän Florian Kainz später: „Sie haben gesagt, dass sie nicht zufrieden sind, dass wir weiter alles raushauen sollen, aber sie uns jetzt erst mal nicht sehen wollen.“ Es war ein Akt des Liebesentzuges, dessen Wurzeln nicht nur in den Ereignissen des Tages lagen, hinzu kommt ein stärker werdendes Grundgefühl: blanke Angst.

Jedenfalls war eine lähmende Furcht schon das dominierende Motiv der 90 Minuten zuvor gewesen, an deren Ende der Kölner Sport-Geschäftsführer Christian Keller sagte: „Es war ein brutal wichtiges Spiel, und wir spielen größtenteils nicht auf Bundesliga-Niveau“ – ein bitteres Eingeständnis. Zwischenzeitlich waren die bekannten „Wir wollen euch kämpfen sehen“-Gesänge zu vernehmen, aber diese Forderung ging an der Realität vorbei. Die Kölner versuchten zu kämpfen, waren jedoch gehemmt von Versagensängsten, die die Sinne zu vernebelten. „Wenn du Angst hast zu verlieren, dann wird es schwierig, irgendwann ein Spiel zu gewinnen“, sagte Angreifer Mark Uth. Einfachste Pässe und simple Ballannahmen wurden zu komplexen Herausforderungen, der FC hatte gegen die mit Abstand schwächste Defensive der Liga keine einzige klare Chance.

Es war kurios: Weil Darmstadt Tabellenletzter ist und zuvor 22 Spiele lang nicht gewonnen hatte, entstand in den Köpfen der Kölner ein hemmender Siegzwang. Zumal die mit ganz anderen Gedanken beschäftigt sind: den immer konkreter werdenden Überlegungen zu den Folgen eines Abstiegs. Eine Zukunft in der zweiten Liga wäre für den 1. FC besonders hart, weil er aufgrund einer vom internationalen Sportgerichtshof verhängten Transfersperre im Sommer keine Spieler verpflichten kann. Mehrere Profis haben Ausstiegsklauseln, Akteure wie Jeff Chabot, Timo Hübers oder Marvin Schwäbe könnten den Verein wahrscheinlich verlassen, die Verträge von Davie Selke und Mark Uth gelten nicht in der zweiten Liga. Niemand weiß, ob das Team dort konkurrenzfähig wäre. Vielerorts werden bereits Horrorszenarien gezeichnet, denn die Beispiele des Hamburger SV, des FC Schalke 04 und von Hertha BSC zeigen, wie tief große Traditionsvereine fallen können. Womöglich ist das einer der Gründe, warum es Trainer Timo Schultz nicht gelingt, die dringend erforderliche Leichtigkeit zu erzeugen. Es ist ein bekanntes Phänomen: In besseren Phasen kann die emotionale Wucht, die in großen Traditionsvereine manchmal entsteht, beflügeln. In anderen Momenten wird sie zum Problem.

Nach dem Spiel erklangen dann für einige Momente zornige „Keller raus“-Rufe, weil der Geschäftsführer den derzeit überforderten Kader zusammengestellt und außerdem noch den beliebten Trainer Steffen Baumgart entlassen hat. „Ich bin hauptverantwortlich, dann ist es nachvollziehbar, wenn diese Rufe kommen“, sagte Keller, der aber nach allem, was zu hören ist, weiterhin das Vertrauen des Präsidiums genießt. Denn die Trennung von Baumgart war weniger eine Reaktion auf den sportlichen Niedergang als die Folge eines Entfremdungsprozesses zwischen dem Trainer, diesem Klub und auch der Mannschaft. Und wenn Spieler wie Dejan Ljubicic, Florian Kainz, Eric Martel, Denis Huseinbasic oder Jan Thielmann so stabil gespielt hätten wie in den Jahren zuvor, stünden die Kölner vermutlich erheblich besser da.

Im Raum steht überdies der Vorwurf, dass Keller trotz der damals bereits drohenden Transfersperre im vergangenen Sommer nicht mehr Geld in einen weiteren starken Stürmer und vielleicht auch einen Mittelfeldstrategen investiert hat. Dazu gibt es ein Gegenargument: Die Geschäftsführung arbeitet relativ konsequent dran, Altlasten abzubauen, die nicht nur als Folge der Corona-Pandemie entstanden sind, sondern auch, weil frühere Klubführungen zu riskant gewirtschaftet haben. Keller und seine Geschäftsführungskollegen sind dabei, die Finanzen im Interesse einer besseren Zukunft zu konsolidieren, statt wie ihre Vorgänger künftige Einnahmen für bessere Erfolgsaussichten in der Gegenwart auszugeben. Diese Strategie wird in allen Gremien des Vereins begrüßt.

Ein Abstieg würde diesem Vorhaben erhebliche Schäden zufügen, denn in der zweiten Liga müsste der Klub mit Mindereinnahmen von mehr als 40 Millionen Euro rechnen. „Die Zahlen stimmen von den Größenordnungen her“, sagte Keller am Sonntag im „Sport 1 Doppelpass“, versicherte aber auch: „Es ist ganz klar, dass der 1. FC Köln auch in der zweiten Liga in der Lage sein wird, sich selbst zu tragen.“ Vielleicht beruhigen solche Botschaften die Nerven der Spieler vor dem Spiel in Mainz am kommenden Sonntag, in dem noch einmal die Wende gelingen kann. Uth sagte allerdings: „Wir haben nur noch eine Chance, wir müssen da gewinnen.“ Der Druck wird also noch größer.